Interview mit Joachim von Braun: Lokale und globale Dimensionen von Konsum

Prof. Dr. Joachim von Braun, Zentrum für Entwicklungsforschung, Universität Bonn

Warum ist Konsum ein so hochgradig komplexes Thema für nachhaltige Entwicklung – insbesondere mit Blick auf lokale und globale Dimensionen? Wie geht die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie mit der Komplexität um? Was kann die Wissenschaft beitragen,  um Aus- und Wechselwirkungen des Konsums in Deutschland systematischer besser zu erfassen? Darüber spricht Joachim von Braun im Interview.

 

Herr von Braun, Warum ist Konsum so ein zentrales und hochgradiges komplexes Thema für eine globale nachhaltige Entwicklung?

Joachim von Braun: Jedes Produkt, das wir konsumieren ist das Ergebnis einer kurzen oder langen, teils sehr verzweigten und oft globalen Wertschöpfungskette. Auf dem Weg der Herstellung werden Ressourcen verbraucht und Emissionen ausgestoßen. Viele grundlegende Produktionsbereiche sind mittlerweile auch in arme Weltregionen verlagert und das schafft dort Einkommen und Beschäftigung aber dort verursachte ökologische und soziale Schäden gehen uns an und müssen verhindert werden.

Was wären Beispiele für besonders kritische Konsummuster hierzulande, die negative globale Effekte haben?

Joachim von Braun: Ein Beispiel ist die Nutzung von Wasser: Deutschland ist ein großer Wasserverbraucher. Allerdings nicht nur primär durch unseren Verbrauch von heimischem Trink- oder Brauchwasser, sondern indirekt durch die wasserintensive Produktion von Gütern, die wir aus Drittländern nachfragen. Dieses sogenannte virtuelle Wasser geht auf das Konto unseres Konsums in Deutschland und wird oftmals in Regionen entnommen und verbraucht, die bereits unter Wasserknappheit leiden.

Ein anderes Beispiel sind Rohstoffe für technische Güter, etwa seltene Erden: Viele unserer Handys, Laptops, Batterien enthalten besondere Rohstoffe, die aufwendig abgebaut werden müssen. Die Lagerstätten befinden sich zumeist in sehr armen Ländern und Regionen. Durch die ungebrochen hohe und künftig vermutlich stark weiter steigende Nachfrage – gepaart mit der prekären sozio-ökonomischen und politisch instabilen Situation in diesen Ländern wie z.B. dem Kongo – verfestigen sich nicht nachhaltige Produktions- und Handelsstrukturen.

Inwiefern sehen Sie diese kritischen globalen Aus- und Wechselwirkungen des Konsums im Deutschland durch die DNS und deren Fortschrittsberichte berücksichtigt?

Joachim von Braun: Mit der Aktualisierung 2016 benennt die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie erstmals explizit einen Indikator für nachhaltigen Konsum und misst ihn, unter anderem mit dem Marktanteil von Produkten mit staatlichen Umweltzeichen. Auch wurde mit der Überarbeitung der Strategie in 2018 zuletzt ein neuer Zielbereich zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung unter SDG 12 eingeführt. Beispielsweise soll die Verwaltung auf Bundesebene bis 2020 fast nur noch Papier mit dem „Blauem Engel“-Umweltzeichen verwenden und die CO2-Emissionen der öffentlichen Kraftfahrzeugflotte senken. Das sind Schritte in die richtige Richtung.

Weshalb?

Joachim von Braun: Die Bundesregierung erklärt damit den Konsumbereich als Steuergröße für politische Maßnahmen. Das ist neu, da die Politik bisher mehrheitlich der Meinung folgte, Konsum sei ganz und gar eine Angelegenheit privater Freiheit und daher der politischen Einflussnahme nicht zugänglich. Externe Effekte von Konsum sind aber teilweise rechtfertigungsbedürftig und damit auch über Anreize Bildungs- und Informationspolitik oder Ordnungsrecht politisch zu steuern.

Und wird die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der hohen Komplexität des Themas gerecht? 

Joachim von Braun: Die Strategie beinhaltet neben den unter SDG 12 aufgeführten Indikatoren weitere konsum- und produktionsbezogener Indikatoren, unter anderem zur Rohstoffproduktivität (SDG 8) und zum Flächenverbrauch (SDG 11). Sie nimmt also durchaus die Komplexität des Themas, die vielfachen globalen Verflechtungen und die Verantwortung Deutschlands wahr. Zur konkreten Ausgestaltung von Politiken zu nachhaltigem Konsum verweist die DNS jedoch vornehmlich auf andere sektorale bzw. spezifische Strategien und Programme. Ihrer Querschnittsaufgabe muss sie noch stärker gerecht werden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Forschung, die globalen Aus- und Wechselwirkungen des Konsums in Deutschland systematischer zu erfassen und entsprechende Politiken für einen nachhaltigen Konsum zu unterstützen?

Joachim von Braun: Wissenschaft sollte vermehrt mit Konsumenten über Nachhaltigkeit forschen und nicht nur über Konsumenten. Dazu ist Begleitforschung mit großräumig angelegten, experimentellen Ansätzen hilfreich, um evidenzbasierte Empfehlungen für eine Förderung nachhaltiger Konsumweisen im Konsens mit den Bürgern zu entwickeln.

Dazu ist ein hohes Maß an Interdisziplinarität gefragt, denn Konsum ist nicht nur als wirtschaftliche Tätigkeit, sondern auch als komplexes kulturelles Handeln zu verstehen. Hier können viele verschiedene Wissenschaftsbereiche wertvolle Erkenntnisse beitragen. Neben den Wirtschaftsdisziplinen etwa die Sozialpsychologie, Sozialtheorie, Verhaltensökonomik oder auch die Designforschung und Kulturgeschichte.

Digitalisierung schreitet mit hoher Geschwindigkeit voran und verändert unsere Produktions- und Konsummuster enorm. Man denke nur an den Online-Handel, immer mehr digitale Dienstleistungen, bald autonomes Fahren und vieles mehr. Ob all das zu mehr oder weniger Nachhaltigkeit führt, ist noch völlig offen – denn beispielsweise die Energieeinsparungen durch Effizienz, die die Digitalisierung ermöglicht, wird häufig genutzt, um noch mehr zu produzieren und zu konsumieren. Hier ist die Politik also ganz massiv gefragt zu gestalten, insbesondere durch die Stärkung eines Wirtschaftsordungssystems das die Chancen der Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit nutzt und die Risiken minimiert.

Die Wissenschaft kann das unterstützen, indem sie die Wechselwirkungen etwa zwischen Umwelt und sozioökonomischen Faktoren analysiert und offenlegt, die als Grundlage für politische Entscheidungen dienen. Zudem spielt die Forschung auf der systemischen Seite eine entscheidende Rolle, etwa bei der Entwicklung technologischer Fortschritte, die nachhaltigere Produkte und nachhaltigere Produktionsmethoden überhaupt erst ermöglichen.

Wo gelingt es der Politik bereits, im Bereich Konsum Nachhaltigkeit zu adressieren? Wo sehen Sie Nachholbedarf?

Joachim von Braun: Neben den Ansätzen in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie ist hier etwa das „Nationale Programm für nachhaltigen Konsum“ oder weitere Programme wie die Hightech-Strategie der Bundesregierung zu nennen – auf die sich die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie ja auch bezieht. Dort sind die gegenwärtigen Entwicklungen, die mit Konsum und Produktion in Verbindung stehen, erfasst und beschrieben. Wichtige Partner für diese Initiativen sind im Bereich Ressourcen-Effizienz die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung; auch die Initiativen zur Reduzierung von Verschwendung von Lebensmitteln oder das Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit in der Bundesregierung und die Strategie der Bundesregierung für die Entwicklung einer nachhaltigen innovativen Bioökonomie haben hier bereits maßgebliche Vorarbeit geleistet.

Um den Konsum Deutschlands nachhaltiger zu gestalten, sind Weiterentwicklungen in der Wirtschaftsordnungspolitik gefragt. Dazu gehört etwa die Schaffung von Anreizen und eine kluge Besteuerung: Erhöhung etwa für den exzessiven Verbrauch von Ressourcen und fossiler Energie und Senkung bei der Besteuerung von Arbeit. Aber auch die Infrastruktur, Produktionsmethoden und Vermarktung sind weitere systemische Faktoren, die einen Ansatzpunkt bieten und entsprechend in der Nachhaltigkeitsstrategie und deren Mess- und Monitoringsysteme Berücksichtigung finden könnten.

Und auch wenn die Sensibilisierung zu den globalen Wechselwirkungen von Produktion und Konsum schon zugenommen hat in Deutschland – auch sie muss noch weiter gestärkt werden, etwa auf Basis von umfassenden sorgfältig erfassten „Fußabdrücken“ von Konsum- und Produktionsstrukturen.

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